Beziehungen
Die Hölle des Smalltalk
Zwei Drittel der Alltagskommunikation bestehen aus Klatsch und Tratsch. Der Papst verurteilt das Gerede als kriminell. Dabei verdanken wir ihm womöglich unsere Existenz.
Der englische Schauspieler Hugh Grant verkörpert einen seltenen, offenbar besonders begehrten Typ Mann: den lieben Tollpatsch mit den feinen Manieren. Tiefgründige Gespräche gehören eher selten zu seinen Rollen. Auch nicht in der Liebeskomödie Notting Hill (1999), in der Grant den schrulligen Antiquar und Junggesellen William spielt. Mit seinem nicht weniger schrulligen Mitarbeiter Martin führt er Kaffeepausengespräche, wie fast jeder sie schon mal erleben musste:
William: Du wirst es nicht glauben, wer gerade hier war.
Martin: Wer? War es jemand Berühmtes?
William: Nein.
(Sie beginnen, ihren Kaffee zu trinken.)
Martin: Nein? Aber wäre das nicht aufregend, wenn mal jemand Berühmtes hier reinkommen würde? Weißt du, es ist zwar kaum zu fassen, aber ich habe schon mal Ringo Starr gesehen.
William: Und wo war das?
Martin: Kensington High Street. Ich denke jedenfalls, dass er es war. Vielleicht auch dieser Mann aus »Fiddler On The Roof«, Toppy.
William: Topol.
Martin: Ja, genau, Topol.
William: Allerdings hat Ringo Starr ganz und gar keine Ähnlichkeit mit Topol.
Martin: Naja, er war ziemlich weit von mir entfernt.
William: Also könnte es sein, dass es keiner von beiden war.
Martin: Ja, das wäre auch möglich.
William: Also ist es keine so interessante Geschichte.
Martin: Gar nicht interessant, nein.
(Martin schüttelt den Kopf. William leert seinen Cappuccino.)
Willkommen in der Hölle des Smalltalk. Den beiden Buchhändlern scheint es ziemlich egal zu sein, ob das, was sie da reden, etwas über die Welt aussagt. Hauptsache, es füllt die Stille. Warum können sie nicht einfach die Klappe halten?
Wenn man William und Martin so reden hört, würde man das Verzapfen von alltäglichem Bullshit am liebsten mit einem Bußgeld belegen. Aber wollen wir das ernsthaft? Was wären die Folgen? Was würde geschehen, wenn wir den Bullshit konsequent aus unserem alltäglichen Reden eliminieren würden? Es ginge uns wohl des Öfteren so wie Fania Pascal, jener Russischlehrerin Ludwig Wittgensteins, die auf die Frage des Philosophen nach ihrem Befinden nach einer Mandeloperation erwidert hatte, dass sie sich wie ein überfahrener Hund fühle, woraufhin Wittgenstein sie wenig charmant belehrte, dass sie gar nicht wissen könne, wie sich ein überfahrener Hund fühle. Beim Kaffeegespräch von Notting Hill hätte der Philosoph bestenfalls vorwurfsvoll schweigend danebengesessen.
Wittgenstein fand offenbar, dass Pascal ihm Bullshit auftischte, und das brachte ihn auf. Von Berufs wegen war ihm ganz besonders an sprachlicher Klarheit gelegen. Rein von der Sache her hatte Wittgenstein recht. Das Erleben eines überfahrenen Hundes ist Menschen nicht zugänglich. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Pascal sich in jenem Moment wie ein überfahrener Hund fühlte, aber es ist weder verifizierbar noch falsifizierbar. Dennoch benutzte sie dieses Bild, um ihr Befinden zu beschreiben. Pascal hatte sich nicht ausreichend um Wahrheit bemüht, sie hatte Bullshit verzapft.
Nun ist es aber so, dass es in jenem Moment gar nicht so sehr um Wahrheit ging. Fania Pascal wollte vermutlich getröstet werden. Dafür jedoch war Wittgensteins Antwort völlig ungeeignet, sogar kontraproduktiv, jedenfalls ziem- lich taktlos. Die meisten unbeteiligten Beobachter würden daher wohl nicht Pascals Äußerung, sondern Wittgensteins Antwort als Fauxpas betrachten.
Irgendwo zwischen Notting Hill und Ludwig Wittgenstein liegt das richtige Maß an Bullshit in Alltagsgesprächen. …
(Dies ist ein Auszug aus »Schluss mit dem Bullshit«, Teil 2)